Als Projekt „Kompetenzstelle gegen Antiziganismus“ (KogA) werden wir im Folgenden die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz in ihrer Bedeutung einordnen und zu einem möglichen AfD-Verbot Position beziehen.
Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, die Trägerin unseres Projektes ist, hat in den vergangenen Wochen zwei Gedenkfeiern zum 80. Jubiläumsjahr der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen und der Befreiung des Strafgefängnisses Wolfenbüttel ausgerichtet. Auch unser Team hat bei beiden Gedenkfeiern vor Ort unterstützt. 80 Jahre ist es also her, dass am 8. Mai der Faschismus militärisch besiegt wurde und von Januar 1945 bis zum 8. Mai die Konzentrationslager und anderen Schreckensorte des NS-Regimes befreit wurden. Und heute hat die Bundesrepublik Deutschland eine, seit der Neueinstufung durch den Verfassungsschutz, „gesichert rechtsextreme“ Partei im Bundestag sitzen – als „zweitstärkste Kraft“, mit 151 Sitzen. Ein Zeugnis der prekären Lage der Erinnerung der deutschen Gesellschaft an das totalitäre System Nazi-Deutschlands, dessen Ende nichteinmal ein Jahrhundert zurückliegt. Gleichzeitig bestätigt uns diese Einschätzung, die Anfang 2025 erschiene MEMO-Studie der EVZ, in der 38,1 Prozent der Befragten meinten unter die NS-Zeit gehöre ein „Schlussstrich“. Eine fatale Entwicklung.
Wie geht es also ab hier weiter? Welche Möglichkeiten hat der Verfassungsschutz zur Überwachung der gesichert rechtsextremen AfD? Wie stehen wir zu einem Verbotsverfahren?
Für uns als rassismus- und antiziganismuskritisches Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert wird, sind die politischen Entwicklungen der letzten Wochen ebenfalls spürbar. Der Koalitionsvertrag sieht eine Halbierung der Anzahl der Bundesbeauftragten vor. Auch Sinti* und Roma* haben einen Bundesbeauftragten. Bis April 2025 besetzte Dr. Mehmet Daimagüler diesen Posten. Wer folgen wird, ist noch nicht bekannt. Und welche Bundesbeauftragten besagte „Halbierung“ treffen wird, ist ebenso noch nicht klar. Dass es u.a. aufgrund des steigenden Antiziganismus (MIA veröffentlichte im April den erneuten Höchststand an antiziganistischen Vorfällen) problematisch wäre keinen offiziellen Bundesbeauftragten mehr zu haben, ist nicht von der Hand zu weisen.
Die neue Einstufung der AfD erreichte unser Projekt also inmitten einer herausfordernden Gesamtsituation für Antidiskriminierungsarbeit, Rassismuskritik und Demokratieförderung. Doch was bedeutet die Einstufung konkret? Es gibt drei Einstufungen des Verfassungschutzes: Prüffall, Verdachtsfall und eine gesichert extremistische Bestrebung. Bisher war die AfD als Verdachtsfall eingestuft. Ab der Einstufung als Verdachtsfall, darf die Behörde beispielsweise Finanzermittlungen durchführen. Je nach Einstufung hat der Verfassungsschutz unterschiedliche Mittel zur Verfügung um eine Partei zu beobachten. Eine Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ bedeutet, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz als Behörde nachrichtendienstliche Mittel leichter einsetzen darf, um die AfD besser überwachen zu können.„Leichter“ einsetzen heißt in dem Fall, dass der Verfassungsschutz mehr Spielraum für den tatsächlichen Einsatz dieser nachrichtendienstlichen Mittel hat, da jede Beobachtung und Ermittlung wiederum auch in die Personenrechte und die Rechte der Partei eingreifen kann und der Einsatz deshalb immer abgewogen werden muss.
Ein Verbotsverfahren der AfD wird seit der Neueinstufung der Partei als gesichert rechtsextrem und der Veröffentlichung des Berichts des Verfassungsschutzes durch das Magazin „Cicero“ immer wieder gefordert und neu diskutiert. Auch wir haben uns in den vergangenen Tagen über unsere Social Media-Kanäle für ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD ausgesprochen. Denn als Projekt, das sich für den Abbau von institutionellem Antiziganismus und, im Kontext von NS-Gedenkstätten, gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einsetzt, sehen wir die AfD nicht erst seit der Neueinstufung als Gefährdung für die demokratisch-freiheitliche Grundordnung. Durch die Verbreitung von Hass und Hetze ist die AfD nicht nur für Minderheiten eine Gefahr, sondern für unser gesamtgesellschaftliches Zusammenleben.
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