Die „Kompetenzstelle gegen Antiziganismus“ (KogA) der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten kritisiert die generalisierende und antiziganistische Darstellung der Sinti*zze in der Landeszeitung der Lüneburger Heide („Einblicke in eine andere Welt“, 20. März 2025). Der Artikel wurde im Kontext des Prozesses gegen Andreas S. verfasst, der wegen mehrerer Gewalttaten gegenüber seiner Ex-Partnerin vor dem Lüneburger Landesgericht angeklagt und inzwischen verurteilt wurde.
Im besagten Artikel wird die Zugehörigkeit zur Minderheit der Sinti*zze sprachlich nicht differenziert, sondern durchgängig als fremd und andersartig dargestellt. An einer Stelle wird die Zugehörigkeit zur Minderheit der Sinti*zze sogar als gleichbedeutend mit einer nicht-deutschen Nationalität dargestellt – ein Ausdruck von Geschichtsvergessenheit: Denn die Nationalsozialisten entzogen vielen Sinti*zze die Staatsbürgerschaft. Diejenigen, die nicht ermordet wurden, mussten teils jahrzehntelang darum kämpfen, wieder als Deutsche anerkannt zu werden.
Auch vor dem Hintergrund der seit Jahrhunderten bestehenden Mitgestaltung von Kultur und Gesellschaft durch Sinti*zze ist diese Aussage des Artikels bedenklich. Sie zeugt – ebenso wie die Formulierung „Sintis“ (Sinti ist bereits ein Plural) – von gravierenden Wissenslücken. Bei den Sinti*zze handelt es sich um eine anerkannte nationale Minderheit – zusätzlich zur Staatsbürgerschaft. Es besteht also kein Widerspruch zwischen „deutsch“ und „Sinto“.
Infolge dieser Darstellung werden die Straftaten von Andreas S. im Artikel mit seiner Zugehörigkeit zu den Sinti*zze in Verbindung gebracht. Das erweckt den Eindruck, als könne ein deutscher Mann ohne Sinti*zze-Zugehörigkeit eine solche Tat nicht begehen. Bereits in der Überschrift des Artikels werden Sinti*zze als „die Anderen“ dargestellt. Dies geschieht durch einen sogenannten Frame, der die Zugehörigkeit des Angeklagten zu den Sinti*zze als Ursache der Gewalt gegen seine Ex-Partnerin suggeriert – ebenso wie eine mutmaßliche Fremdartigkeit der Sinti*zze insgesamt, da sie laut Titel „eine andere Welt“ bewohnten.
Diese suggerierte Fremdartigkeit wird abermals durch eine Passage erzeugt, in der der Autor – ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem Sachverhalt – über das vor der Tat bestehende Sexualleben des Angeklagten und seiner Ex-Partnerin berichtet. Dies wirkt im Kontext der Gesamtdarstellung wie eine weitere sexistische und antiziganistische Zuschreibung – in Anlehnung an die lange Geschichte der antiziganistischen Erotisierung und Sexualisierung von Frauen*, die den Sinti*zze angehören oder – wie in diesem Fall – mit ihnen in Verbindung gebracht werden.
Liest man den Artikel von Autor Jan Beckmann unkritisch bzw. ohne antiziganismuskritisches Vorwissen, entsteht der Eindruck, der Angeklagte sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Sinti*zze ein frauenfeindlicher Sexual- und Gewaltstraftäter geworden. Dass Frauenfeindlichkeit sowie häusliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen* ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellen („Lagebild zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen“, 25. November 2024), das durch patriarchale Strukturen in der deutschen Gesamtgesellschaft hervorgebracht wird, bleibt unerwähnt.
Diese implizite und in einigen Passagen auch explizite generalisierende Darstellung der Sinti*zze – sowie das gleichzeitige Ausblenden gesellschaftlicher Ursachen von häuslicher und sexualisierter Gewalt gegen Frauen – kritisieren wir entschieden.
Einige der im Artikel erwähnten problematischen Aussagen stammen aus Zitaten des psychiatrischen Gutachters Dr. Wegener. Dieser stellt die Kultur der Sinti*zze als frauenfeindlich dar und knüpft damit an antiziganistische Stereotype an. Gewalt gegen Frauen kann nicht als Alleinstellungsmerkmal einer bestimmten Kultur angesehen werden. Hier wäre es hilfreich gewesen, den Fall zu kontextualisieren, anstelle von Behauptungen Einzelner über eine vermeintliche Kultur der Sinti*zze: Es gibt fast jeden Tag einen Femizid in Deutschland, die Gewalt gegen Frauen* steigt weiter an (siehe oben genannte Quelle).
Zitate aus dem Artikel haben wir in dieser Stellungnahme bewusst nicht verwendet, um problematische Implikationen nicht zu reproduzieren. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, findet den Artikel in der oben genannten Quelle.
Das Projekt KogA bildet seit zehn Jahren Multiplikator*innen fort, um für Antiziganismus – also den Rassismus gegenüber Sinti*zze und Rom*nja – zu sensibilisieren. Gerne kommen wir auch einmal in die Redaktion der Landeszeitung der Lüneburger Heide, um uns mit Ihnen auszutauschen und unsere Perspektive zu erläutern.