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News2022-07-22T11:51:45+00:00
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80 Jahre Befreiung des KZ Bergen-Belsen.

Am vergangenen Wochenende fanden die Gedenkveranstaltungen rund um die zentrale Gedenkfeier, anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung des ehemaligen KZ Bergen-Belsen, am Sonntag, den 27. April, statt. Das Team des Projektes “Kompetenzstelle gegen Antiziganismus” (KogA) war ebenfalls beteiligt. So startete am Freitag die Veranstaltungsreihe der Gedenkstätte Bergen-Belsen u.a. mit einer Führung auf dem Gedenkstätten-Gelände, gemeinsam durchgeführt von Lukas Engelmeier und Kolleg*innen der Stiftung Niedersächsischer Gedenkstätten. In bewegenden Gesprächen berichteten Überlebende von ihrer Befreiung — etwa von dem sogenannten „Verlorenen Zug“, der nach langer Irrfahrt von Bergen-Belsen bei Tröbitz durch die Rote Armee befreit wurde. Die Arbeit von KogA stieß bei den Nachkommen auf großes Interesse. Es entwickelten sich spannende Diskussionen über die deutsche und amerikanische Erinnerungskultur — über Errungenschaften, aber auch über Leerstellen. Besonders die lange fehlende Anerkennung des Völkermords an den Sinti* und Roma* sowie der Umgang mit NS-Akten in der Nachkriegszeit lösten tiefgehende Reflexionen über Kontinuitäten von NS-Unrecht aus. Wir sind dankbar für die Begegnungen, das Vertrauen – und das gemeinsame Erinnern.

Sinti* und Roma* wurden im ehemaligen KZ Bergen-Belsen und dem „Lager II“, dem Gelände der ehemaligen Wehrmachtskaserne der SS, Bergen-Hohne, unter katastrophalen Bedingungen gefangen gehalten, ausgehungert, unterversorgt und wurden durch Hunger und Krankheiten ermordet. Insgesamt wurden etwa 1.800 Sinti* und Roma* im KZ-Bergen-Belsen gefangen gehalten. Sinti* und Roma* waren die drittgrößte Gruppe der Häftlinge in Bergen-Belsen.

Im Jahr 1945, am 15. April, wurden die Überlebenden Sinti* und Roma* in Bergen-Belsen schließlich von der britischen Armee befreit. Ihr Leid und die erlebte Ausgrenzung und Diskriminierung in Deutschland endete jedoch nicht an diesem Tag. Bis heute werden Sinti* und Roma* auf allen gesellschaftlichen Ebenen diskriminiert. In der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt – selbst ihre Staatsbürgerschaft in Deutschland und anderen Ländern, wird ihnen häufig explizit oder implizit abgesprochen.

Die Gedenkfeier am Sonntag fand in Bergen-Belsen am Obelisken vor der Gedenkmauer statt. Überlebende, Politiker*innen und Besucher*innen kamen um 13:30 Uhr zusammen, um den Verfolgten, den Toten zu gedenken und ihr Leben und ihre Erfahrungen in gemeinsamer Erinnerung festzuhalten.

Die Gräueltaten der Nationalsozialist*innen wurden in der gestrigen Gedenkfeier durch die Erfahrungen von den Überlebenden Mala Tribich, Greet Coopman, Ivan Lefkovits und der Kinder des Displaced Person Camps: Debbie Morag und Menachem Rosensaft, in bewegenden Reden geschildert. Dabei haben alle Redner*innen, unter denen auch die stellvertretende Premierministerin Großbritanniens Angela Rayner, der Ministerpräsident Nds. Stephan Weil, der israelische Botschafter in Deutschland Ron Prosor waren, an die Zuhörenden und die Weltgemeinschaft appelliert. Sie appellierten u.a. daran, dass ein “nie wieder” ein Aufruf zum aktiven Handeln ist und, dass dieses Handeln in unser aller Alltag möglich und nötig ist, in dem wir bei Ausgrenzung, Hass, sogenanntem Othering und Diskriminierung, die in unserer heutigen Gesellschaft wieder und immer noch stattfinden, nicht wegschauen.

In diesem Sinne endete die Gedenkfeier um 15:30 Uhr mit dem Verlesen der uns bekannten Namen derer Überlebenden Bergen-Belsens, die im letzten Jahr bis heute verstorben sind. Im Laufe des weiteren Nachmittags fanden noch weitere kleinere Gedenkzeremonien am Hochkreuz (Gebet von Landesbischof Ralf Meister und Bischof Dr. Heiner Wilmer) und am jüdischen Mahnmal statt. Die Ansprache am jüdischen Mahnmal hielten der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster und der Oberrabbiner des Vereinigten Königreiches Sir Ephraim Mirivis.

Stellungnahme: Antiziganismus in Berichterstattung der Lüneburger Heide Zeitung.

Die „Kompetenzstelle gegen Antiziganismus“ (KogA) der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten kritisiert die generalisierende und antiziganistische Darstellung der Sinti*zze in der Landeszeitung der Lüneburger Heide („Einblicke in eine andere Welt“, 20. März 2025). Der Artikel wurde im Kontext des Prozesses gegen Andreas S. verfasst, der wegen mehrerer Gewalttaten gegenüber seiner Ex-Partnerin vor dem Lüneburger Landesgericht angeklagt und inzwischen verurteilt wurde.

Im besagten Artikel wird die Zugehörigkeit zur Minderheit der Sinti*zze sprachlich nicht differenziert, sondern durchgängig als fremd und andersartig dargestellt. An einer Stelle wird die Zugehörigkeit zur Minderheit der Sinti*zze sogar als gleichbedeutend mit einer nicht-deutschen Nationalität dargestellt – ein Ausdruck von Geschichtsvergessenheit: Denn die Nationalsozialisten entzogen vielen Sinti*zze die Staatsbürgerschaft. Diejenigen, die nicht ermordet wurden, mussten teils jahrzehntelang darum kämpfen, wieder als Deutsche anerkannt zu werden.

Auch vor dem Hintergrund der seit Jahrhunderten bestehenden Mitgestaltung von Kultur und Gesellschaft durch Sinti*zze ist diese Aussage des Artikels bedenklich. Sie zeugt – ebenso wie die Formulierung „Sintis“ (Sinti ist bereits ein Plural) – von gravierenden Wissenslücken. Bei den Sinti*zze handelt es sich um eine anerkannte nationale Minderheit – zusätzlich zur Staatsbürgerschaft. Es besteht also kein Widerspruch zwischen „deutsch“ und „Sinto“.

Infolge dieser Darstellung werden die Straftaten von Andreas S. im Artikel mit seiner Zugehörigkeit zu den Sinti*zze in Verbindung gebracht. Das erweckt den Eindruck, als könne ein deutscher Mann ohne Sinti*zze-Zugehörigkeit eine solche Tat nicht begehen. Bereits in der Überschrift des Artikels werden Sinti*zze als „die Anderen“ dargestellt. Dies geschieht durch einen sogenannten Frame, der die Zugehörigkeit des Angeklagten zu den Sinti*zze als Ursache der Gewalt gegen seine Ex-Partnerin suggeriert – ebenso wie eine mutmaßliche Fremdartigkeit der Sinti*zze insgesamt, da sie laut Titel „eine andere Welt“ bewohnten.

Diese suggerierte Fremdartigkeit wird abermals durch eine Passage erzeugt, in der der Autor – ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem Sachverhalt – über das vor der Tat bestehende Sexualleben des Angeklagten und seiner Ex-Partnerin berichtet. Dies wirkt im Kontext der Gesamtdarstellung wie eine weitere sexistische und antiziganistische Zuschreibung – in Anlehnung an die lange Geschichte der antiziganistischen Erotisierung und Sexualisierung von Frauen*, die den Sinti*zze angehören oder – wie in diesem Fall – mit ihnen in Verbindung gebracht werden.

Liest man den Artikel von Autor Jan Beckmann unkritisch bzw. ohne antiziganismuskritisches Vorwissen, entsteht der Eindruck, der Angeklagte sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Sinti*zze ein frauenfeindlicher Sexual- und Gewaltstraftäter geworden. Dass Frauenfeindlichkeit sowie häusliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen* ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellen („Lagebild zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen“, 25. November 2024), das durch patriarchale Strukturen in der deutschen Gesamtgesellschaft hervorgebracht wird, bleibt unerwähnt.

Diese implizite und in einigen Passagen auch explizite generalisierende Darstellung der Sinti*zzesowie das gleichzeitige Ausblenden gesellschaftlicher Ursachen von häuslicher und sexualisierter Gewalt gegen Frauen – kritisieren wir entschieden.

Einige der im Artikel erwähnten problematischen Aussagen stammen aus Zitaten des psychiatrischen Gutachters Dr. Wegener. Dieser stellt die Kultur der Sinti*zze als frauenfeindlich dar und knüpft damit an antiziganistische Stereotype an. Gewalt gegen Frauen kann nicht als Alleinstellungsmerkmal einer bestimmten Kultur angesehen werden. Hier wäre es hilfreich gewesen, den Fall zu kontextualisieren, anstelle von Behauptungen Einzelner über eine vermeintliche Kultur der Sinti*zze: Es gibt fast jeden Tag einen Femizid in Deutschland, die Gewalt gegen Frauen* steigt weiter an (siehe oben genannte Quelle).

Zitate aus dem Artikel haben wir in dieser Stellungnahme bewusst nicht verwendet, um problematische Implikationen nicht zu reproduzieren. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, findet den Artikel in der oben genannten Quelle.

Das Projekt KogA bildet seit zehn Jahren Multiplikator*innen fort, um für Antiziganismus – also den Rassismus gegenüber Sinti*zze und Rom*nja – zu sensibilisieren. Gerne kommen wir auch einmal in die Redaktion der Landeszeitung der Lüneburger Heide, um uns mit Ihnen auszutauschen und unsere Perspektive zu erläutern.

Antiziganismus wird nicht erwähnt. KogA-Kommentar zum Koalitionsvertrag

Am gestrigen 9. April wurde der Koalitionsvertrag der Union und SPD veröffentlicht. Dazu möchten wir uns im Folgenden äußern und unsere Kritik und Bedenken, bezogen auf das Thema Antiziganismus im Koalitionsvertrag, darlegen. Das Thema Antiziganismus kommt darin nicht vor. Die Spezifik und Bedeutung des Rassismus gegen Sinti* und Roma* findet im zentralen Leitfaden der neuen Bundesregierung somit keinen Raum. Ein klares Bekenntnis zur Bedeutung des Phänomens Antiziganismus und eine damit verbundene Fortsetzung der Arbeit des Bundesbeauftragten gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Sintizze sowie Roma und Romanja in Deutschland suchen wir vergeblich, stattdessen wird die „Halbierung der Beauftragten des Bundes“ (S. 53, Koalitionsvertrag) angekündigt.   

Das Bekenntnis der Koalition zu einem „besonderen Schutz und einer spezifischen Förderung der gesetzlich anerkannten nationalen Minderheiten“ (S.119, Koalitionsvertrag), darunter Sinti* und Roma*, greift sprachlich zu kurz, um die zunehmende Bedrohungslage durch Antiziganismus und dessen Wirkungsweise angemessen zu beschreiben. 

Die Formulierungen zur Demokratieförderung als Reaktion auf Extremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit irritieren mehr, als dass sie ermutigen. Von einem Demokratieförderungsgesetz ist keine Rede mehr, stattdessen soll „Demokratie leben!“ zwar fortgesetzt werden, aber zugleich unabhängig überprüft und die Verfassungstreue der geförderten Projekte sichergestellt werden. Hier drückt sich leider ein gewisses Misstrauen gegenüber der engagierten Zivilgesellschaft aus, anstatt deren Stärkung zu sichern. Auch der Extremismusbegriff im Koalitionsvertrag erinnert an die sogenannte “Hufeisentheorie”, nach der zwischen Links- und Rechtsextremismus nicht klar differenziert wird und Extremismus in der sogenannten Mitte des politischen Spektrums nicht vorkommt. Somit wird eine klare Benennung der rechten Bedrohungslage in Deutschland vermieden und damit auch eine Vorstellung davon, wie auf diese wirksam reagiert werden könnte. Anstelle von aufwendigen und teuren Überprüfungen und Druck durch Mechanismen der Kontrolle von Verfassungstreue, die ohnehin jede gesellschaftliche Organisation einhalten muss, sollte ein klares Bekenntnis zu Stärkung, Finanzierung und Unterstützung der Zivilgesellschaft und Demokratieförderung erfolgen!

Es scheint, als würde im Koalitionsvertrag das Engagement gegen die rechte Bedrohungslage in Deutschland sowie für die Demokratieförderung einem bestimmten parteipolitischen Lager zugeordnet. Anstatt die Unterstützung und Stärkung dieses Engagements als einen parteipolitisch unabhängigen, gemeinsamen Kraftakt der demokratischen Parteien Deutschlands zu verstehen und zu formulieren.

https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag_2025.pdf

Ständige Bund-Länder-Kommission gegen Antiziganismus nimmt Arbeit auf

Am 7. Oktober fand unter Vorsitz des Beauftragten der Bundesregierung gegen Antiziganismus, Dr. Mehmet Daimagüler, die konstituierende Sitzung der ständigen Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma (BLK) statt. Die Kommission will eine wirksamere, besser abgestimmte Politik erreichen, die Sinti und Roma schützt und Hürden zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben abbaut.

Auf der Seite des BMFSFJ ist der vollständige Beitrag zu finden.

“Bildung gegen Antiziganismus – Handlungsempfehlungen aktiv umsetzen“ Positionspapier

Als Ergebnis des Fachtages “Bildung gegen Antiziganismus – Handlungsempfehlungen aktiv umsetzen“
Fachtag zur Konkretisierung und Umsetzung von Handlungsempfehlungen gegen Antiziganismus im Bildungsbereich in Niedersachsen
stellen wir hier das gemeinsam erarbeitete Positionspapier vor.

VORWORT
Bildung ist eine notwendige Voraussetzung, um Antiziganismus zu erkennen, zu verstehen und abzubauen. Doch die Orte der Bildung in Niedersachsen haben, genau wie andernorts, nicht nur viel zu lange eine adäquate Thematisierung von Antiziganismus versäumt, sondern sind selbst zu häufig Räume der Reproduktion und Fortschreibung antiziganistischen Ausschlusses, Stigmatisierung, Kriminalisierung¹ und Diskriminierung. Sie können und sollten sich ändern, um Orte eines Perspektivwechsels, Orte nachholender Gerechtigkeit und der Partizipation von Sinti* und Roma* zu werden. Es sind diese drei Schlagworte, die den Titel für den Abschlussbericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) von 2021 bilden und denen wir uns mit unserem Engagement anschließen. Wir sind ein niedersächsisches Netzwerk (von Kooperationspartnern) gegen Antiziganismus (NgA), eine Kooperation von mehreren niedersächsischen Selbstorganisationen: dem Jungen Forum gegen Antiziganismus, dem niedersächsischen Verband deutscher Sinti/Niedersächsische Beratungsstelle für Sinti und Roma e.V., dem Roma Center e.V./Roma Antidiscrimination Network, anfänglich auch dem 1. Sinti-Verein Ostfriesland sowie dem Projekt Kompetenzstelle gegen Antiziganismus (KogA) der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und der Abteilung Wissen im Umbruch am Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut.
Als NgA haben wir uns auf den Weg gemacht, die Handlungsbedarfe und -empfehlungen der UKA aufzugreifen und für Niedersachsen zu konkretisieren². Durch die UKA, von durch Antiziganismus Betroffenen und aus der jeweiligen langjährigen Praxis in Beratung, Bildung, Wissenschaft und Netzwerkarbeit in unseren Einrichtungen wissen wir um die Problemstellungen des Antiziganismus im Bildungs- und Schulsystem. Unser Ansatz ist es, auf diese zu reagieren und Verbesserungen zu empfehlen. Denn viele elementare Handlungsempfehlungen bzw. Forderungen des Berichts der UKA warten weiter auf ihre Umsetzung und Antiziganismus ist Alltag im Bildungssystem und darüber hinaus. Unser Ziel ist es, die Relevanz der UKA-Empfehlungen zu unterstreichen, aber vor allem die Umsetzung notwendiger Maßnahmen für Niedersachsen voranzubringen.

Fußnoten sind in dem pdf-Dokument zu finden.

Lesen Sie bitte hier das vollständige Positionspapier

Drohende Abschiebung – KogA Stellungnahme

Die Staatenlosigkeit und drohende Abschiebung von Robert A. als Ausdruck von strukturellem Antiziganismus

Die Kompetenzstelle gegen Antiziganismus (KogA) der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten kritisiert den Umgang mit Robert A. als Beispiel für strukturellen Antiziganismus. Seit über 30 Jahren lebt Robert A. in Deutschland, ist jedoch staatenlos und akut von Abschiebung bedroht. Eine umfassende Aufarbeitung und grundlegende Veränderungen im Umgang mit Antiziganismus sind dringend notwendig. In unserer Stellungnahme schildern wir, wie im Fall von Robert A. historisches Unrecht in der Gegenwart weiterwirkt.

Der ganze Text von KogA hier.

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